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Titel
'Nur politisch Würdige'. Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937


Autor(en)
Mertens, Lothar
Erschienen
Berlin 2004: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
414 S.
Preis
€ 64,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Hau, Australien School of Historical Studies, Monash University

Lothar Mertens’ Studie zur Forschungsförderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Nationalsozialismus ist nicht die erste ihrer Art. Sie geht aber in einigen wichtigen Punkten über die vor einigen Jahren von Notker Hammerstein vorgelegte Arbeit hinaus. Mertens lehnt die von Hammerstein vertretene These, dass der Nationalsozialismus in der Wissenschaftspolitik eigentlich nichts Wesentliches verändert habe und dass es nur marginale Modifikationen im deutschen Hochschulwesen gegeben habe, ab. (S. 29) Mertens steht hier nicht allein. Hammersteins Thesen wurden schon früher heftig kritisiert, unter anderem von Ingo Haar, der Hammerstein eine mangelhafte Analyse der institutionellen Verzahnung von Wissenschaft und Macht im Nationalsozialismus vorwarf.1

Mertens wagt eine kritischere Auseinandersetzung mit der Förderungspraxis der DFG als Hammerstein, obwohl auch seine Arbeit nicht ganz unproblematisch ist. Seine Hauptthese ist, dass die Forschungsförderung durch die DFG im Nationalsozialismus in hohem Grad von politischen Beurteilungen abhing und die vermeintliche oder reale politische Zuverlässigkeit der Antragsteller ein entscheidendes Kriterium bei der Stipendienvergabe war. Mertens konstatiert deshalb „eine Zurückdrängung wissenschaftlicher durch gesinnungspolitische Kriterien bei der Entscheidung über Förderanträge im Dritten Reich“ (S. 132). Der Verfasser stützt sich bei seiner Arbeit hauptsächlich auf die im Bundesarchiv Koblenz vorhandenen Einzel- und Förderakten der DFG und auf die von ihm selbst in den Hoover Institution Archives in Stanford entdeckten NS Dozentenschaftsgutachten, welche die politische Durchleuchtung der DFG Stipendienantragsteller von 1934 bis 1937 dokumentieren. Über die Kombination beider Bestände versucht er den Gesamtumfang und die Mechanismen der Bewilligungspraxis bei der Stipendienvergabe zu erschließen. Da sich in den Koblenzer Beständen keine Akten zu negativ beurteilten Stipendienanträgen befinden, zeigt Mertens an Hand der politischen Beurteilungen der Dozentenschaftsgutachten, dass politische Kriterien bei der Ablehnung von Stipendienanträgen häufig eine entscheidende Rolle spielten.

Der wichtigste Aspekt von Mertens’ Buch ist die Rekonstruktion der Arbeitsweise der 1934 eingerichteten Personalstelle der DFG, welche für die politische und rassische Überprüfung der Stipendienbewerber zuständig war. Dieses Personalamt, dessen Existenz von Hammersteins Studie ignoriert wurde, war die zentrale Parteistelle in der DFG. Zu ihrer Aufgabe gehörte die Überwachung der DFG durch die als Referenten für politische Begutachtung eingesetzten SS-Männer Johannes Weniger (bis 1935) und Walter Greite. Weniger und Greite holten sowohl beim NS Dozentenbund als auch bei anderen Staats-, oder Parteidienststellen Erkundigungen über die politische, ideologische und charakterliche Zuverlässigkeit von potentiellen DFG-Stipendiaten ein. Der Durchleuchtung der zukünftigen Stipendiaten diente auch ein Personalfragebogen, in dem die Bewerber Angaben zu ihrer arischen Abstammung und früheren politischen Aktivitäten für kommunistische oder sozialdemokratische Organisationen machen mussten. Weitere Fragen betrafen die Mitgliedschaft in der Nazipartei oder Parteiorganisationen wie der SA oder der SS. Anfangs sollten diese Überprüfungen hauptsächlich „nicht-arische Antragsteller“ und Gegner des Nationalsozialismus ausfindig machen. Ab 1935/36 sollten sie sicherstellen, dass sich der wissenschaftliche Nachwuchs aus zuverlässigen Nazis rekrutierte. Inwieweit dieses Ziel wirklich erreicht wurde, bleibt unklar. Wie Mertens zeigt, war der Eintritt in eine Parteigliederung keine Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere, da zwei Drittel der Stipendiaten nicht Mitglied in Parteiorganisationen waren (S. 202). Dies heißt jedoch nicht, dass es keinen Zusammenhang zwischen Mitgliedschaft in NS-Organisationen und persönlichen Vorteilen für die Stipendiaten gab. Sowohl die durchschnittliche Förderhöhe als auch die durchschnittliche Dauer von Stipendien für NSDAP-Mitglieder unter den Stipendiaten waren höher als jene für Nichtmitglieder.

Die Stärke dieser Studie liegt in der peniblen Dokumentation der Details der DFG-Förderung. Den Band zieren 59 Tabellen und etliche Graphiken, deren Nutzen stark vom erkenntnisleitenden Interesse des Lesers abhängt. Wer will, kann sich in dieser Arbeit sowohl über Beispiele extrem langer Antragsbearbeitungsdauer als auch über Beispiele rascher Bewilligungen informieren. Spätere SS-Karrieren von Stipendiaten werden ebenso aufgeführt wie die Antragsteller in der SS nach ausgewählten Promotionsfächern. Was bei dieser detailversessenen Dokumentation jedoch etwas zu kurz kommt, ist die Einbettung der DFG-Förderungspraxis in die Strukturen der NS-Wissenschaftspolitik im Allgemeinen. Mertens versucht zwar die Strukturenprinzipien der NS-Wissenschaftspolitik herauszuarbeiten, was er damit meint, ist jedoch nicht ganz klar. So konstatiert er zum Beispiel, dass das „Führerprinzip als strukturelles System in der Wissenschaft der ersten NS-Jahre“ nichts anderes sei als „die ideologische Kumpanei und persönliche Bekanntschaft als ein Strukturprinzip der NS-Wissenschaftspolitik“ (S. 34). Die Zusammenhänge zwischen der DFG-Förderungspraxis und anderen Politikfeldern, wie zum Beispiel der Rüstungs- oder Gesundheitspolitik, sind ebenfalls nur unzureichend analysiert. Von einigen Ausnahmen abgesehen, bleibt es dem Leser überlassen, die Verbindungen mit diesen Politikfeldern zu interpretieren.

Dennoch arbeitet Mertens die vorauseilende, aber letztendlich vergebliche Selbstanpassung der DFG-Führung unter Schmitt-Ott überzeugend heraus. Er beschreibt auch den Wandel in der DFG-Förderungspraxis unter Johannes Stark, der als Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und DFG-Präsident in Personalunion eine zentrale Rolle im NS-Wissenschaftssystem bis 1936 spielte. Zu Recht betont er, dass der Einfluss Starks auf die frühe NS-Wissenschaftspolitik in der bisherigen Forschung nur unzureichend gewürdigt wurde. Die Forschungsförderung unter Stark war geprägt von willkürlichen Entscheidungen des Präsidenten, der Bewilligungen häufig von seinen eigenen technik-wissenschaftlichen Prioritäten und den Bedürfnissen der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt abhängig machte. Starks selbstherrliches Gebaren brachte ihn zunehmend in Konflikt mit den SS-Seilschaften um Rudolf Mentzel im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, der Starks finanziellen Spielraum immer weiter einschränkte und ihn schließlich Ende 1936 zum Rücktritt bewog. Als neuer DFG-Präsident und „Leiter des Geschäftsführenden Beirats“ des 1937 gegründeten ersten Reichsforschungsrats konnte Mentzel nur teilweise an Starks zentrale Rolle bei der Forschungsförderung im Dritten Reich anknüpfen, da die jeweiligen Leiter der Fachgliederungen des Reichsforschungsrats souverän über Bewilligungen entscheiden konnten.

Da das Buch offensichtlich überhaupt nicht lektoriert wurde, ist es leider nur schwer lesbar. Mertens reißt mehrmals Themen an, auf die er an anderer Stelle wieder zurückkommt, ohne die für ein leichteres Verständnis notwendigen Zusammenhänge aufzuzeigen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Funktionsweise des DFG-Personalamts in Kapitel 3 abgehandelt wird und erst in Kapitel 7 „Textauszüge aus den politischen Gutachten“ für die Personalstelle diskutiert werden. Zwischen diesen Kapiteln erläutert Mertens unter anderem die Kontakte der DFG zur Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Das Material, das er dabei präsentiert, ist zwar manchmal interessant, aber die Bezüge zu Mertens’ Hauptthese, was die politische Motivierung der Forschungsförderung angeht, bleiben häufig sehr vage. Da der Band kein Sachregister hat, ist er auch nicht gerade nutzerfreundlich. Dennoch ist Mertens’ Buch ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Wissenschaftspolitik im Nationalsozialismus. Insbesondere Spezialisten können darin interessantes Material für ihre eigenen Studien entdecken, wenn sie die dafür notwendige Geduld aufbringen.

Anmerkung:
1 Ingo Haar: Rezension zu: Notker Hammerstein, Die deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Wissenschaftspolitik in Republik und Diktatur, in: H-Soz-u-Kult, 25.09.2000, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=482>.

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